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Trockenbearbeitung führt zu Gratbildung, Kühlmittel hinterlassen ?lrückst?nde – beides sind No-Gos bei medizinischen Produkten. So stellt die Fr?sbearbeitung von Hochtechnologiekunststoffen die Medizintechnik vor Herausforderungen. Das Projekt ?KryoPE“ soll die L?sung liefern: Ein kryogenes MMS-Kühlystem, das auf CO2 statt auf Luft setzt. Das reduziert nicht nur die Gratbildung um 95 Prozent gegenüber der Trockenbearbeitung, sondern ist auch umweltfreundlicher und wirtschaftlicher als klassische Kühlung.
Die Herstellung hochwertiger medizintechnischer Produkte erfordert spezielle Materialien. Egal ob für Inlays aus Ultrahochmolekularem Polyethylen (UHMWPE) in künstlichen Kniegelenken oder für Bandscheibenk?fige aus Polyetheretherketon (PEEK) – Hochtechnologiekunststoffe sind aus der modernen Medizintechnik nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig stellt ihre Bearbeitung Zerspaner vor Herausforderungen: Um zu verhindern, dass diese Kunststoff-Implantate Verunreinigungen und Feuchtigkeit aufnehmen, werden sie trocken bearbeitet. Dabei kommt es aber oft zu thermischen Sch?digungen, vor allem beim Fr?sen mit hohen Abtragsraten. Zudem bilden sich Grate, die keinesfalls in den menschlichen K?rper gelangen dürfen und deshalb in h?ndischer Nacharbeit entfernt werden müssen. Beides macht die Trockenbearbeitung wenig effizient.
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Die Minimalmengenschmierung (MMS) w?re eine sehr umweltschonende und ressourceneffiziente Methode, um Werkzeuge w?hrend der Zerspanung dieser Kunststoff-Implantat-Komponenten zu kühlen. Doch bisher findet diese Technik kaum Anwendung im medizinischen Bereich. Der Grund: In dieser Branche dürfen nur bestimmte MMS-?le mit vergleichsweise niedrigen Verdampfungstemperaturen verwendet werden. Dadurch soll verhindert werden, dass Kühlschmiermittel Rückst?nde auf Bauteilen hinterlassen, die in aufwendigen Reinigungsverfahren entfernt werden müssen. Die Frage ist also: Wie kann eine moderne MMS-Kühltechnik für die Medizintechnik aussehen?
Um ein solches Kühlsystem mit allen dazugeh?rigen Komponenten zu entwickeln, haben sich im August drei Partner zu dem ?ffentlich gef?rderten Projekt ?KryoPE“ zusammengetan. Das Kühlsystem selbst wird vom Maschinenhersteller HPM Technologie ausgearbeitet, der viel Erfahrung im Bereich Minimalmengenschmierung mitbringt. Gühring entwickelt und optimiert zus?tzliche Komponenten von der Werkzeugspannung bis hin zu an die neue Technik angepassten Fr?swerkzeugen. Dabei profitiert der Werkzeughersteller von seinen Kompetenzen im Bereich Spannmittel und Innenkühlung. Erg?nzt wird das Projekt durch Simulationen und Optimierungen des Prozesses durch das Forschungszentrum für Spanende Fertigung (KSF) der Hochschule Furtwangen.
CO2 statt Luft: Die Vorteile kryogener MMS-Kühlung
Die Projekt-Partner sind sich einig: Kryogene MMS-Kühlung (kryoMMS) h?tte das Potenzial, den Herstellprozess von Kunststoff-Implantaten effizienter, produktiver und wettbewerbsf?higer zu machen. Unter kryogener MMS-Kühlung versteht man das zielgerichtete Kühlen, bei dem statt Luft technische Gase wie Kohlenstoffdioxid (CO2) als Kühl- und Transportmedium eingesetzt werden. Kohlenstoffdioxid hat dabei den gro?en Vorteil, dass es nahezu verlustfrei in flüssiger Form bis zur Werkzeugschneide transportiert wird und erst dort durch Expansion seine volle Kühlwirkung entfaltet. Das im Gas enthaltene Schmiermedium wird direkt an der Wirkstelle des Werkzeugs freigesetzt, durch die Expansion auf -78,5°C (unter Atmosph?rendruck) heruntergekühlt und verdampft, ohne Rückst?nde auf der gefr?sten Oberfl?che zu hinterlassen.
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Einer der gr??ten wirtschaftlichen Vorteile von kryoMMS ist, dass diese Kühltechnik eine l?ngere Werkzeugstandzeit bei h?heren Schnittparametern erm?glicht, was zu einer wirtschaftlicheren Zerspanung führt. Neben den technischen Vorteilen bietet die kryogene MMS-Kühlung aber auch Umweltvorteile: Die CO2-Bilanz der wassermischbaren Schmierstoffe, die meistens zur Kühlung eingesetzt werden, ist im Gegensatz zur CO2-Zerspanung deutlich h?her. Das liegt zum einen an der Raffinierung der ?le, aber auch an deren Entsorgung, bei der deutlich mehr CO2 ausgesto?en wird. Für KryoMMS sollten hingegen neuartige biobasierte Schmierstoffe eingesetzt werden. Indem die Reinigung der Bauteile und Entsorgung der ?lrückst?nde entf?llt, kommt es zudem zu weniger Abfallstoffen. Das bietet auch kostentechnische Vorteile, denn durch eine Umstellung auf kryogene MMS-Kühlung lassen sich die Kosten für Reinigung und Entsorgung reduzieren.
Trockenfr?sen vs. MMS mit superkritischem CO2
Aus all diesen Gründen ist es vor allem für Unternehmen im Bereich Medizintechnik sinnvoll, die kryoMMS-Kühlung einzusetzen. Doch tats?chlich gibt es zwar für die Zerspanung im medizinischen Bereich optimierte Werkzeuge doch noch kein spezielles Kühlsystem für diese Branche. Das soll sich jetzt ?ndern: In einem ersten Versuch auf einer fünfachsigen Fr?smaschine (Mikron MILL S 400 U) der Firma GF Machining Solutions GmbH untersuchten die Forschenden am KSF, wie sich die superkritische CO2-Kühlung auf den Fr?sprozess auswirkt. Dafür wurde ein CO2-Zuführsystem eingesetzt, das in der Lage ist, superkritisches Kohlendioxid (scCO2) mit einem Druck von bis zu 110 bar bereitzustellen. Die Zuführung erfolgt dabei über die rotierende Werkzeugmaschinenspindel, die Werkzeugaufnahme und die innenliegenden Kühlkan?le des Werkzeugs.
Das Ergebnis: Es kommt zu deutlich weniger Gratbildung am Bauteil. Im Vergleich zur Trockenbearbeitung f?llt die Gratbildung bei der scCO2-Bearbeitung um etwa 95 Prozent geringer aus. Auch die Werkstückgenauigkeit und die Oberfl?chenqualit?t sind mit der neuen Technik deutlich besser: Die Forschenden haben die Oberfl?chenrauigkeit (Rz) der Nutflanke betrachtet und festgestellt, dass w?hrend des Schruppvorgangs mit scCO2 eine um ca. 30 Prozent geringere Rauheit entsteht. Die h?here Prozesssicherheit sorgt dafür, dass viel weniger oder sogar keine manuelle Nacharbeit n?tig ist.
KryoMMS: Hohe Performance, flexible Anwendung
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?Dieser Vorversuch hat die extremen Potenziale dieser Technik aufgezeigt“, so das Zwischenfazit von Dr. Nicolas Beer, der den Bereich Forschungsprojekte bei Gühring leitet. ?Nun wollen wir einen hochproduktiven Prozess entwickeln, welcher hinsichtlich Formgenauigkeit, Oberfl?che und Gratbildung eine so hohe Bauteilqualit?t verspricht, dass nachfallende Prozess- und Reinigungsschritte entfallen.“ Der bereits erfolgreiche Prozess soll als industrielles System in der Praxis umgesetzt werden, sodass Neuanlagen mit kryo-MMS ausgestattet und bestehende Bearbeitungszentren umgerüstet werden k?nnen. Dafür gilt es zuerst zu erforschen, welche grundlegenden Faktoren die Zerspanung von Hochleistungskunststoffen mit kryo-MMS in der Praxis beeinflussen.
?Die Medizintechnik ist eine wichtige Branche für Gühring und die Technologieführerschaft in der Herstellung medizinischer Produkte mit dieser neuen Schmiertechnologie ist unser Ziel“, erkl?rt Dr. Nicolas Beer. Weil der Kühlvorgang stark von der Werkzeuggeometrie beeinflusst wird, ist es nun die Aufgabe von Gühring, innengekühlte Werkzeuge zu liefern, deren Geometrie, Beschichtung und Schneidstoff perfekt an die ver?nderten Materialeigenschaften und Temperaturen angepasst sind und das Potenzial dieser neuen Technik voll aussch?pfen. Unterstützt wird der Werkzeughersteller dabei durch CFD-Simulationen des KSF. Weitere Systemkomponenten, die im Rahmen des Projekts erforscht werden müssen, sind ein für diese Anwendung abgestimmtes Medium und das dazu passende Kryo-Sytstem sowie eine modifizierte Werkzeugaufnahme. All das mit dem Ziel, eine neue Technologie zu finden, die eine hohe Performance garantiert, dabei Ressourcen schont und trotz alldem flexibel und benutzerfreundlich in der Anwendung ist.
Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg zur F?rderung von Innovations- und Technologievorhaben im Rahmen des Programmes Invest BW (F?rderkennzeichen BW1_1347/02) gef?rdert und vom Projekttr?ger VDI/VDE Innovation + Technik GmbH betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Ver?ffentlichung liegt bei der Autorin.
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